Fadrina macht sich Sorgen. Nicht um Fippo, Fippo ist so häuslich wie kaum zuvor. Seit er Vater geworden ist und die Welpenmutter regelmässig zum Spielen trifft, scheint er ruhiger und ausgeglichener denn je. Seine Lust abzuhauen ist fast ganz verschwunden. Bevor Fadrina sich darüber wundern kann, gibt es einen anderen Vermissten in ihrem Häuschen: Kater Lumpazi, der bisher nie mit irgendwelchen Mätzchen von sich reden gemacht hat.
Fippo beobachtet, wie Fadrina unruhig auf und ab tigert. Sie guckt durch alle Fenster nach draussen, als würde Lumpazi dort auf eine Extra-Einladung warten. Sie ruft auf jedem Spaziergang unablässig „Komm, psss, psss, Lumpazi“, was Fippo zunehmend nervt. Andererseits vermisst er seinen Kumpanen auch! Denn über die Jahre sind sie zwar nicht enge Freunde geworden, aber doch eine verschworene Schicksalsgemeinschaft. Immer öfter schliefen sie eng aneinander geschmiegt ein, schnarchten im Takt.
In den letzten Wochen aber ist das seltener geworden. Wenn Fippo sich auf seinen Lieblingsteppich fallen liess, stand Lumpazi auf und huschte ins Freie. „Lumpazi ist unternehmungslustiger als auch schon“, sagte Fadrina zu ihrem Freund Riet. Der lachte nur: „Hey, es ist Frühling. Und er ist ein Kater. Was willst du? Er tut nur, was er tun muss als Kater im Frühling.“
Fadrina gab sich damit nicht zufrieden. Sie kannte Lumpazi. Der war vieles, aber bestimmt kein Streuner. Eines Morgens tauchte er gar nicht mehr auf. Sein Futterschälchen blieb unberührt, die Wasserschale verwaist. „Such Lumpazi!“, forderte Fadrina Fippo auf, und Fippo riss sie mit sich. Er schnüffelte und schnüffelte wie ein ausgebildeter Trüffelsuchhund und führte Fadrina erst zu den Nachbarn, dann zur Postautohaltestelle, dann zum Bahnhof, dann zum Hotel mitten im Dorf, dann zum kleinen Lebensmittelgeschäft. Kein Lumpazi, nirgends. Da konnte Fadrina rufen und locken, so oft sie wollte.
„Kannst du nicht etwas machen?“, bat sie Riet. „Vermisste Tiere gehören doch ins Aufgabengebiet der Polizei!“ – „Du kannst eine Vermisstenanzeige aufgeben, dann wissen wir Bescheid, wenn jemand einen Kater findet. Und ich würde wieder wie damals bei Fippo bei der Schweizerischen Tiermeldezentrale ein Inserat schalten.“ Fippo guckte kurz auf, als er seinen Namen hörte. Fadrina lud Bilder von Lumpazi hoch, hängte Flyer im Dorf auf, verteilte sie an ihre Fahrgäste im Postauto.
Die Tage zogen ins Land. Ab und an rief jemand an, der glaubte, Lumpazi gesehen zu haben. Fippo konnte dann an Fadrinas Stimme erkennen, ob der Anruf von Belang war oder nicht. Manchmal standen Leute aus dem Dorf vor der Tür und erzählten, dass ein unbekannter Kater in ihrem Garten Vögel fange oder nach Mäusen buddle. Dann nahm Fadrina Fippo an die Leine und sie zogen los. Auf diese Weise lernte Fippo zwar etliche Gärten des Dorfes kennen, doch auf Lumpazi stiessen sie nirgends. „Ob er entführt worden ist?“, sinnierte Fadrina nach einem weiteren erfolglosen Garten-Besichtigungstag, „es gibt Menschen, die aus Katzen Pfeffer zubereiten!“ – Riet hätte beinahe seinen Rotwein verschüttet. „Bestimmt nicht. Er geniesst seine Freiheit und wird eines Tages wieder auftauchen. So war es doch bei Fippo auch.“
Riet behielt recht. Am nächsten Abend, als sich Fippo und Fadrina gerade eine Kuscheleinheit gönnen wollen, klappert das Katzentürchen. Fippo schiesst auf und hin. Tatsächlich: Ein zerzauster, magerer Lumpazi steht tropfnass da, beginnt sich erst in aller Seelenruhe abzulecken, macht sich dann über das Futter her und würdigt weder Fadrina noch Fippo eines Blickes. Fadrina kann nicht an sich halten, sie nimmt den durchnässten Kater in die Arme und herzt und küsst ihn, streichelt und krault. Fippo findet das zu viel. Wieso wird der Kerl für sein Abhauen auch noch belohnt?
Kaum setzt Fadrina Lumpazi wieder auf den Boden, verschwindet er zum zweiten Mal durchs Katzentürchen. „He, Lumpazi!“, ruft Fadrina – aber es ist zu spät. Oder doch nicht? Denn kurz darauf ist sein Miauen von draussen zu hören. Einmal. Zweimal. Dreimal. Immer lauter und heftiger. Fippo scharrt aufgeregt. Fadrina öffnet die Haustüre. „Was ist denn hier los?“ – „Oh nein, wie süss! Lumpazi! Gehören die zu dir?“, ruft sie und kann gerade noch Fippo aufhalten, der natürlich seine Nase zuvorderst reinstecken möchte. Auch Fippo traut seinen Augen kaum.
Neben dem Holunder sitzt Lumpazi, stolz wie ein Pfau. Neben ihm eine weisse Katze. Rund um die weisse Katze turnen, klettern, schleichen, spielen vier Kätzchen. Fippo winselt. Fadrina fehlen die Worte. Lumpazi handelt. Er marschiert mit hoch erhobenem Kopf durch die Tür ins Haus. Die weisse Katze folgt ihm. Die vier Kätzchen folgen der weissen Katze. Fadrina sagt noch immer nichts. Fippo kann sich losreissen und beschnuppert den Besuch ausgiebig. Den Jungtieren leckt er übers Fell. Die Katzenmutter faucht und macht einen Buckel und rettet sich mit einem Satz aufs vermeintlich sichere Sofa. Fippo hechtet hinterher. Er hat Gefallen gefunden an diesen kleinen Wesen.
Fadrina will ihn gerade vom Sofa hinunterdrängen, als sie beobachtet, wie die Kleinen Fippo als eine Art Onkel adoptiert haben. Sie spazieren über seinen Bauch, klettern auf den Rücken, und eines, das Schwarz-Rot-Weiss-Gestreifte, bleibt gleich dort in bester Cowboy-Manier sitzen. Inzwischen macht sich die Katzenmama über das Futter her. Lumpazi sitzt wie immer auf seinem Lieblingsplatz auf dem Schrank und behält den Überblick. Fadrina ruft Riet an. Nein, es gibt keine Vermisstmeldung wegen einer vermissten Katze. Sie durchforstet die Anzeigen der Schweizerischen Tiermeldezentrale. Es werden unglaublich viele Katzen vermisst, aber kein einziges weisses Weibchen in ihrer Umgebung.
Am nächsten Tag ruft sie den freundlichen Tierarzt, auf dass er auf seinem Heimweg den Chip der weissen Mama einlese. Fippo freut sich, seinen Freund und Retter hier zu sehen – wendet sich aber alsbald beleidigt ab, als er bemerkt, dass der Besuch gar nicht ihm gilt. Der Tierarzt schüttelt den Kopf. „Kein Chip!“, sagt er überrascht, „die Katze ist nicht registriert. So wird es natürlich schwierig. Hm. Was soll mit der kleinen Familie geschehen?“ Lumpazi schaut gebannt von seinem Schrank. Fippo legt die rechte Vorderpfote um die weisse Miniatureausgabe der Katzenmama, als wolle er sie für immer festhalten. Der Tierarzt lächelt. Fadrina lächelt. Am meisten aber lächelt Fippo, natürlich nur innerlich, als er Fadrinas Worte hört: „Sie bleiben einfach hier – wo denn sonst?“
Wie lebt sich die ganze Katzenfamilie bei Fadrina und Fippo ein? – Die Fortsetzung folgt, wie immer, hier. Auf Wiederlesen!
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