„Wissen Sie, mein Leben ist gerade ein bisschen langweilig geworden. Also wenigstens hatte ich das in letzter Zeit öfter gedacht. Ich war schon lange nicht mehr im roten Zug unterwegs, ich blieb artig bei Fadrina im Postauto, ich frass keine fremden Leckerli und buddelte keine geheimnisvollen Schätze aus. Kater Lumpazi und ich stritten selten nur um den besten Platz, und bei Riet vergesse ich immer wieder, dass er Polizist ist und mir gefährlich werden könnte …
Es war also alles prima. Und ein bisschen öd. Bis ich auf dem Heimweg vom Busdepot nicht mehr aufhören konnte zu schnuppern. Boah! Dieser Duft! Ich schnüffelte und schnüffelte und schnüffelte und schnüffelte. Irgendwo in der Ferne hörte ich Fadrina hektisch nach mir rufen. Aber in diesem Augenblick, das musste sie einfach verstehen, war der Duft doch so viel wichtiger. Das sehen Sie doch auch so, oder?
Ich lief also an unserem Haus vorbei, wo Lumpazi schon vor dem Gartentürchen stand und miaute; ich beschleunigte, als Fadrina mich wieder rief; ich bog hinter dem Haus von Peder elegant links ab, als sie meinen Namen schrie, dann den Hügel hinauf. Von Meter zu Meter roch es immer intensiver, ich fühlte mich schon richtig beduselt oder schwindlig oder beides. Autsch! Den Holzstamm hatte ich vor lauter Luluspur nicht gesehen, in meinem Hirn tanzten 3000 Sterne Salsa, aber ich biss auf die Eckzähne und setzte meine Suche fort, denn weit konnte es nicht mehr sein, der Duft schien den ganzen Wald zu erfüllen. Ich musste mich einen Moment setzen. Einatmen, ausatmen.
Ziemlich vernebelt schaute ich mich um. Und dann sah ich sie. Eine schwarze Schönheit! Süss und klein! Und mit so einer betörenden Ausdünstung wie keine vor ihr. Das war sie! Meine Hundedame!
Doof nur: Die Schöne war nicht allein. Am anderen Ende der Leine entdeckte ich eine Frau. Sollte ich, sollte ich nicht? Bevor ich darüber nachdenken konnte, marschierten meine Pfoten wie von selber zu dieser Verlockung, die intensiv an einem Gebüsch schnupperte. Ich spürte Anflüge von Eifersucht. Las sie da etwa gerade die Liebesbotschaft eines gutaussehenden Rüden? War das womöglich einer, der nicht so ein zotteliges Fell hatte wie ich? Grösser und stattlicher war? Und aus einer renommierten Zucht stammte?
In diesem Moment hob sie den Kopf und sah mir direkt in die Augen. Ich schmolz dahin. Sie anscheinend auch, denn sie konnte nicht mehr aufhören mich anzustarren. Das machte mich mutig. Vorsichtig und leicht geduckt näherte ich mich ihr. Die Frau schaute zum Glück grad auf ihr Telefon in der Hand. Und dann kam der Moment. Ich durfte direkt an der kleinen Schwarzen schnuppern. Erst vorne. Dann hinten. Mir wurde noch schwindliger. So sehr, dass ich Schiss bekam, umzukippen. Sie schnüffelte an mir. Da sah die Frau vom Telefon auf und erschrak: „Lulu, komm!“ - Lulu hiess die bestriechendste Hündin der Welt also!
Lulu schien denkbar schlechte Ohren zu haben. Eventuell war sie sogar taub. Sie unterbrach ihr Schnüffeln keineswegs und warf mir verliebte Blicke zu. Ich musste sie haben! Dass sie taub war, störte mich kein bisschen.
„Fippo!“ - Oh nein! Leider funktionierten meine Ohren noch. Und meine Augen. Ich sah Fadrina daherjoggen und erkannte aus der Ferne, dass sie so richtig sauer war. „Hier!“ – Jetzt war ich wirklich unentschlossen. Eine Rüge kassieren für zwei zusätzliche Minuten Lulu? Ja, ja, ja! Ein Rüde lebt nur einmal. Ich holte nochmals tief Luft für eine weitere Inhalierrunde, da stand Fadrina neben mir und nahm mich harsch an die Leine. „Fippo, Heimatland, jetzt kunsch aber!“
Im gleichen Moment wurde auch Lulu zurückgerissen. Die Frau und Fadrina schauten sich entgeistert an.
„Entschuldigung, er ist einfach abgehauen!“, sagte Fadrina.
„Dabei bin ich mit ihr extra auf den Hügel, damit sie die Rüden nicht verrückt macht. Sie ist läufig“, sagte die Frau.
Läufig, läufig. Ich überlegte. Vermutlich hiess der umwerfende Duft so.
„Und er ist nicht kastriert!“, erwiderte Fadrina.
Kastriert! Das klang irgendwie brutal. Ich hatte keine Ahnung, was Fadrina damit meinte.
„Oh nein, Welpen hätten mir gerade noch gefehlt!“, meinte die Frau und zog Lulu noch näher zu sich. Ich verstand zwar die Menschensprache nicht, aber ich verstand Lulus sehnsuchtsvollen Blick.
Ja! Sie wollte mich auch!
„Buna saira“, sagte Fadrina und machte rechtsumkehrt. Ich folgte ihr widerwillig, ohne meinen Blick von der gutriechenden kleinen Schwarzen zu nehmen. Ich war nicht ganz sicher, aber es sah aus, als hätte sie mir zugezwinkert. Ich zwinkerte zurück. Sicher ist sicher.
In dieser Nacht schlief ich nicht. Ich schwebte. Hoch über dem Engadin. Gemeinsam mit Lulu, meiner Lieblingshundedame (nicht, dass es eine andere gäbe). Hach!
Am nächsten Tag tat ich etwas Ungeheuerliches. Schon wieder! Ich stand mit Fadrina gerade am Bahnhof, als eine Duftwolke direkt auf meine Nase zuschoss. Das war Lulu! Ich wusste es! Wie ferngesteuert befreite ich mich aus dem Halsband und rannte blindlings davon, die Nase hoch erhoben, auf der Suche nach den Duftstoffen im Wind. Lulu! Sie rief mich, so viel war klar.
Wie ein Windhund jagte ich ihrer Duftspur hinterher, ach was, ich flog und flog, und als ich die Augen wieder öffnete, stand ich oben auf dem Hügel. Direkt hinter mir raschelte es. Ich zuckte gewohnheitsmässig zusammen, denn es war gerade Jagdzeit. Aber da stand kein Jäger. Da stand sie!
Sie schaute mich an.
Ich schaute sie an.
Dann rannten wir los.
Und dann ...
Wir konnten nicht mehr voneinander lassen. Leider wurde unser Glück doppelt gestört: zuerst von einer zuknallenden Autotüre, dann von Fadrinas Rufen. Mann!
Unsere beiden Besitzerinnen schienen vor Wut zu beben. Lulu und ich überlegten keine Sekunde, ob wir sofort gehorchen sollten oder eventuell nicht.
„Entschuldigung!“, sagte die Frau.
„Entschuldigung!“, sagte Fadrina.
„Sie muss irgendwie über den Zaun geflogen sein, keine Ahnung, wie sie aus unserem Garten entwischen konnte.“
„Er muss irgendeinen Trick gelernt haben, wie er loskommt. Keine Ahnung, wie er das Halsband überlisten konnte!“
Die beiden Frauen guckten sich an und schüttelten den Kopf.
Dann prusteten sie los.
Lulu und ich guckten uns auch an.
Es war wie ein Versprechen.
„Hopp, ins Auto“, rief Lulus Besitzerin.
„Bei Fuss!“, rief Fadrina.
Ein letzter schmachtender Blick.
Gemein, gemein.
Aber ich wusste: Unsere Liebe würde jedes Hindernis überwinden.
Wie wird diese Liebesgeschichte weitergehen? Ob die grösste Befürchtung von Lulus Besitzerin wahr wird? Die Fortsetzung lesen Sie wie immer hier – ein bisschen Geduld noch ...
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