Fippo geniesst die neue Freiheit ohne Maulkorb – für Fadrinas Geschmack etwas zu sehr! – Denn nun verschwindet er immer wieder auf unbestimmte Zeit; dass es so etwas wie „Rückruf“ gibt, scheint er komplett verdrängt zu haben und wenn er endlich wieder auftaucht, steht er vor Dreck, vor allem rund um die Schnauze. Als Fadrina ihm auf die Schliche kommt und sieht, woher seine Erdschnauze stammt, erlebt sie eine Überraschung.
Fadrina pfeift. Einmal, zweimal, dreimal. Ohne Erfolg. Sie flucht leise. Anscheinend ist Fippo zum zweiten Mal ins Flegelalter gekommen. Dabei hatte sie mit ihrer persönlichen Hundetrainerin ein Intensivtraining mit ihm absolviert: Rückruf und Not-Rückruf. Der Not-Rückruf folgt auf die Pfiffe und zur Belohnung gibt’s eine kleine Spielrunde. Gestern Abend hatte es reibungslos geklappt, aber heute scheint Fippo's Hirn aus einem schwarzen Loch zu bestehen.
Fadrina joggt los, der Dorfstrasse entlang. Auf dem Teer liegen die ersten Blätter, der Herbst schickt einen ersten zaghaften Gruss voraus. Da fällt ihr ein: Bald beginnt die Jagd im Engadin. Streunende Hunde sind in dieser Zeit quasi Freiwild. Ihr läuft es kalt den Rücken hinunter, während sie immer stärker ins Schwitzen gerät.
Beim Haus, wo Fippo's angeschmachtete Labimixdame Cocca wohnt, hält sie kurz und wirft einen Blick in den Garten. Kein Fippo weit und breit. Sie kehrt um und joggt Richtung Bahnhof. Dort hat sie ihren Streuner schon öfter aufgegabelt. Fippo mischt sich mit Vorliebe unter die Schulkinder und Touristen, die auf den Zug warten und beim Biss ins Sandwich das eine oder andere Brösmeli fallen lassen. Wenn er ganz doof-treuherzig guckt, was er besonders gut beherrscht, klauben die Kinder manchmal sogar das Bündnerfleisch aus den Brothälften und halten es ihm hin.
Der Bahnhof ist verwaist an diesem Abend. Kein Wunder, bis der nächste Zug hält, dauert es fast eine halbe Stunde. Fadrina schlägt den Weg nach Hause ein. Erfahrungsgemäss dauert es nie lange, bis Fippo sich an seinen vollen Napf in der Küche erinnert. Als sie an der grossen Pferdewiese vorbeikommt, hört sie ein Geräusch. Es klingt verdächtig nach einem Hecheln. Konkret: nach Fippo's Hecheln.
Fadrina stutzt, schaut hinter die Hecke – und entdeckt ihn. Umgekehrt gilt das nicht, Fippo ist zu vertieft. Er scharrt und scharrt, dass die Erdklümpchen in alle Himmelsrichtungen fliegen. Plötzlich blitzt etwas Goldenes auf. Fadrina geht näher hin. Was um alles in der Welt tut ihr Hund da?
Sie ist beinahe auf seiner Höhe angelangt, als er sie endlich wahrnimmt, kurz mit dem Schwanz wedelt, schuldbewusst einen Moment auf den Boden schaut und dann weiter buddelt. „Fippo!“, sagt Fadrina streng und schlägt mit der Hand an ihren linken Oberschenkel – sein Zeichen, dass er sich links von ihr hinsetzen müsste. Fippo hebt kurz den Kopf, guckt sie entschuldigend an – und gräbt dann weiter, als gäbe es etwas zu gewinnen.
Nun ist Fadrina doch neugierig geworden. Sie kauert sich neben das recht ansehnliche Loch und greift nach dem Gold, während Fippo ununterbrochen mit der Schnauze an ihre Hand stupst und leise winselt. „Schsch, schon gut, braver Junge“, murmelt sie zerstreut, während sie die Dose aufhebt. Die ist ziemlich schwer. Eine Erinnerung lebt in Fadrina auf: In solchen „Büchsa“ hatte ihre Nana immer ihre liebevoll von Hand gefertigten Weihnachtsguetzli gefüllt und dann im Keller versteckt, auf dass niemand auch nur eines davon vor Weihnachten stibitzen konnte. Fadrina schnuppert. Nach Backwaren riecht es nicht. Fippo winselt. Fadrina schaut sich um. Kein Mensch ist zu sehen. Vielleicht hat eines der Mädchen, die jeweils die Pferde auf die Koppel bringen, einen Schatz versteckt? Für eine Geburtstagsparty zum Beispiel?
Sollte sie die Dose nicht einfach wieder vergraben? Sie hat kein Recht, sie zu öffnen. Aber... unschlüssig wiegt sie den Fund in den Händen, während Fippo vor Aufregung mit seinen Erdpfoten an ihr hochspringt. Sie könnte ja reinschauen und dann den Deckel sofort wieder draufmachen.
Ganz kurz. Und dann so tun, als hätte sie die Dose nie gesehen. Sie einfach wieder in der Erde vergraben. Genau das würde sie tun. Der Deckel klemmt. Also setzt sie sich ins feuchte Gras und öffnet ihn mit so viel Kraft, dass ihr der halbe Inhalt entgegenfliegt. Papiere sind es, und nach einer Weile realisiert sie es erst: Nicht nur Papierstücke, sondern Wertpapiere. Banknoten. Euro. Fünfziger-, Hunderter-, Tausendernoten. Einige segeln in Fippo's Grube, ein Fünfzigerschein landet auf ihren Schuhen, Fippo schnuppert an einer Hunderternote. Doch wieso ist die Dose so schwer? Sie wühlt ein wenig darin und stösst unter weiteren Scheinen auf etwas Hartes. Eine goldene Damenarmbanduhr. Danach zieht sie ein Collier heraus, zwei Siegelringe und irgendwelche Gedenkmünzen.
Merkwürdig. Sie schaut um sich, ob nicht jemand eine versteckte Kamera oben auf der Hecke angebracht hat. Oder, noch schlimmer, ob sie live gefilmt wird. Fippo winselt wieder, sie krault ihm die Brust.– Und nun? Sie will die Dose Riet zeigen, dem Dorfpolizisten, der seit Monaten mehr oder weniger bei ihr wohnt. Vielleicht gab es ja kürzlich einen Einbruch, denkt sie und steht auf. Fippo lässt den Schatz keine Sekunde aus den Augen.
„Komm!“, sagt Fadrina kurz und nimmt Fippo an die Leine. Aus einem Impuls hinaus hält sie die Dose unter die Jacke, als sie sich auf den Weg nach Hause macht. Kurz überlegt sie, wie viele Euro es wohl sein könnten. 5000? 10 000? Im Schätzen ist sie noch nie gut gewesen. Auf jeden Fall würde es locker für eine Reise reichen – etwas, das momentan so gar nicht in ihr Budget passt. Ob sie Riet überhaupt davon erzählen soll? Anscheinend vermisst niemand im Dorf oder aus der Umgebung Geld, sonst hätte sie davon im Postauto etwas gehört. Als Chauffeurin weiss Fadrina: Das Postauto ist besser als jeder Marktplatz, dort wird alles verhandelt.
Vor der Haustür wischt sie Fippo mit einem alten Handtuch notdürftig die Pfoten ab, bevor sie ihn ins Haus lässt. Hier fällt sie einen Entschluss: Vorläufig soll der Schatz ein Geheimnis bleiben unter zwei Eingeweihten. Fippo und ihr.
Wird Fadrina das gelingen? Kann sie Fippo's Fund vor ihrem Freund Riet, dem Polizisten, überhaupt geheim halten? Ist sie etwa daran, sich gestohlene Ware anzueignen? Woher stammt der Inhalt? Ob sie die Antworten finden wird? Mehr über den geheimnisvollen Schatz erfährst Du hier. Bald. Auf Wiederlesen!
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